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Editorische Zeichen in den Brieftexten

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Ungebräuchliche und schwer verständliche Abkürzungen im Brieftext werden in eckigen Klammern [ ] aufgelöst. Die gängigen Abkürzungen und Zeichen für Münzen und Währungen bleiben unverändert. Nicht aufgelöst werden auch die geläufigen Abkürzungen bei Tempo- und Instrumentenbezeichnungen wie Allo, Andte, Vno(Violino) und Vcello(Violoncello).

Wurde ein Dokument im Laufe der Überlieferung getrennt und befindet sich nur ein Teil im Beethoven-Haus Bonn, ist dieser Teil in der Übertragung fett wiedergegeben.

Abkürzungen in den Brieftexten

  • # Dukaten
  • sfl., f., fr. Florin, Gulden
  • kr, xr, x Kreuzer
  • C.M., c.m. Konventionsmünze
  • W.W., w.w. Wiener Währung
  • BZ, B.Z. Bancozettel
  • £ Pfund Sterling
  • Rthlr Reichstaler
  • Thlr Taler
  • d.c. da capo
  • d.g., dgl. dergleichen
  • d.s. dal segno
  • etc. et cetera
  • mp, m.p. manu propria
  • Nb. Nota bene
  • P.P. Praemissis Praemittendis
  • P.S. Postscriptum
  • P.T. Pleno Titulo

Der nachgestellte Kommentar enthält den Quellennachweis sowie textkritische und erläuternde Anmerkungen. Für die häufiger zitierte Literatur werden Abkürzungen und Siglen verwendet.

59. Beethoven an Breitkopf & Härtel in Leipzig

Vien am 22ten April 1801

P.S.

Sie Verzeihen die späte Beantwortung ihres Briefs1 an mich, ich war eine Zeitlang immerfort unpäßlich und dabei überhaüft mit Beschäftigungen,2 und da ich überhaupt eben nicht der Fleißigste Briefschreiber bin, so mag auch das zu meiner Entschuldigung mit dienen – was ihre Aufforderung wegen Werken von mir betrift, so ist es mir sehr leid, ihnen jezt in diesem Augenblicke nicht genüge leisten zu können, doch haben sie nur die Gefälligkeit mir zu berichten, Von was für einer Art sie von mir Werke zu haben wünschen, nemlich: Sinphonie, quartette, sonate, etc damit ich mich darnach richten könne, und im Falle ich das habe, was sie brauchen oder wünschen, ihnen damit dienen könne. bey mollo hier kommen wenn mir recht ist, bis 8 Werke heraus,3beyHofmeister in leipzeig ebenfals Vier Werke4 – ich merke dabey bloß an, daß bey Hofmeister eins von meinen erstern Konzerten heraus kömmt, und folglich nicht zu den Besten von meine[n]Arbeiten gehört,5 bey mollo ebenfalls ein <Konzert> zwar später verfertigtes Konzert, aber ebenfalls noch nicht unter meine besten von der Art gehört,6 dies sey bloß ein Wink für ihre Musikalische Zeitung7 in Rücksickt der beu<h>rtheilu[n]g dieser werke, obschon wenn man sie hören kann nemlich: gut – , man sie am besten beu<h>rtheilen wird. – es erfodert die Musikalische Politick, die besten Konzerte eine Zeitlang bey sich zu behalten. – ihren Hr. Rezensenten emphelen sie mehr vorsicht und Klugheit besonders in Rüksicht der Produkte jüngerer autoren , mancher kann dadurch abgeschrekt werden, der es vieleicht sonst weiter bringen würde, was mich angeht, so bin ich zwar weit entfernt, mich einer solchen Vollkommenheit nahe zu halten, die keinen Tadel vertrüge, doch war das Geschrey ihres Rezensenten anfänglich gegen mich so erniedrigend,8 daß ich mich, indem ich mich mit andern anfieng zu vergleichen, auch kaum darüber aufhalten konnte, sondern ganz ruhig blieb, und dachte sie verstehen's nicht; um so mehr konnte ich ruhig dabey seyn, wenn ich betrachtete, wie Menschen in die Höhe gehoben wurden, die hier unter den bessern in loco wenig bedeuteten – und hier fast verschwunden, so brav sie auch übrigens seyn mochten – doch nun pax vobiscum – Friede mit ihnen und mir – ich würde nie einer Silbe davon erwähnt haben, wär's nicht von ihnen selbst geschehen. – wie ich neulich zu einem guten Freunde von mir komme,9 und er mir den Betrag von dem, was für dieTochterdesunsterblichen Gott's der Harmoniegesammlet worden, zeigt, so erstaune ich über die geringe Summe, die Deutschland und besonders ihr Deutschland dieser mir verehrungswürdigen Person durch ihren Vater, anerkannt hat,10 das bringt mich auf den Gedanken, wie wär's, wenn ich etwas zum besten dieser Person herausgäbe, auf praenumeration , diese Summe und <das wa> den Betrag, der alle Jahr einkäme, dem publikum vorlegte, um sich gegen jeden angriff festzusezen – sie könnten das meiste dabey thun, schreiben sie mir geschwind wie das am besten möglich sey, damit es geschehe, ehe unß dieseBach stirbt, oder <daß> ehe dieser Bach austroknet und wir ihn nicht mehr tränken können – daß sie dieses werk verlegen müßten, versteht sich von selbst.11

ich bin mit vieler Achtung ihr ergebner
Ludwig van Beethowen.
An Herrn Breitkopf und Härtel in Leipzig.



1 Der Brief ist nicht überliefert.

2 Beethoven berichtet in Brief 65 (29.6.1801), daß er im Winter an Koliken und Durchfall gelitten habe. Im März 1801 war er mit der Komposition des Balletts Die Geschöpfe des Prometheus beschäftigt, wozu er kurzfristig beauftragt worden war.

3 Op. 15, op. 16, op. 17, op. 18 Nr. 1 – 3 (1. Lieferung), op. 18 Nr. 4 – 6 (2. Lieferung), op. 23, op. 24, WoO 14 und WoO 46.

4 Op. 19, op. 20, op. 21 und op. 22, s. Brief 60 .

5 Op. 19.

6 Op. 15.

7 Gemeint ist die im Verlag von Breitkopf & Härtel erscheinende Allgemeine Musikalische Zeitung, die bis 1818 von Johann Friedrich Rochlitz redigiert wurde.

8 Beethoven bezieht sich vermutlich auf die Rezension von op. 66 und WoO 72, die mit " M..." [= Möser] gezeichnet ist, und die Rezensionen von op. 12, WoO 73 und WoO 76, deren Verfasser nicht genannt sind, s. AMZ 1 (1799), Sp. 366, Sp. 570 und Sp. 607, AMZ 2 (1800), Sp. 425, sowie TDR II, S. 278ff.

9 Wahrscheinlich Johann Andreas Streicher (1761 – 1833), s. Anm. 11.

10 Beethoven bezieht sich auf eine Sammlungsaktion zugunsten der Regina Susanna Bach (1742 – 1809), der jüngsten Tochter Johann Sebastian Bachs, die durch einen Aufruf von Rochlitz im Intelligenz-Blatt Nr. 13 zur AMZ 2 vom Mai 1800, Sp. 56, ins Leben gerufen worden war:

"Bitte.
Fast noch nie habe ich die Feder mit so viel Freudigkeit ergriffen, als jezt; denn fast noch nie durfte ich, im Vertrauen auf gute Menschen, so fest überzeugt seyn, etwas Nützliches damit zu schaffen, als jezt. Die Familie der Bache, die, seit zwey Jahrhunderten Deutschland (doch diesem nicht allein) Meister und Meisterwerke der Tonkunst aufstellte; aus welcher abstammete Sebastian Bach, der größte Harmoniker neuerer Zeit, der das Vaterland durch Lehren, Muster, und eine Menge Schüler für die höhere Kunst zu bilden anfing; in welcher gebohren ward Philipp Eman. Bach, dem Vater folgend in Lehren und Arbeiten, dessen Schüler in gar mancher bedeutenden Rücksicht zu seyn, jeder wahrhaft gute Klavierspieler gestehet, wie selbst Mozart es gestand; aus welcher ein Friedemann Bach herumzog, allem entsagend, mit nichts ausgerüstet und beglückt, als mit himmelhoher Phantasie, sein Ein und Alles findend in den Tiefen seiner Kunst; aus welcher ein Johann Christian Bach auch die Blume der Anmuth und Galanterie auf klassichem Boden zu hegen und anzubauen pflegte – : diese Familie ist nun ausgestorben, bis auf eine einzige Tochter des großen Sebastian Bach. Und diese Tochter, jezt im hohen Alter – diese Tochter darbt . Sehr wenige wissen es; denn sie kann – nein, sie soll, sie wird auch nicht betteln! Sie wird es nicht: denn gewiß hört man auf dies bittende Wort um ihre Unterstützung; gewiß giebt es noch gute Menschen, welche nicht auf mich – wie könnte ich das verlangen: – aber auf eine anständige Veranlassung achten, den lezten Zweig eines so fruchtreichen Stammes nicht ohne Pflege eingehen zu lassen. Gäbe nur jeder, der von den Bachen gelernet hat, die geringste Kleinigkeit: wie sorglos und bequem würde das gute Weib ihre lezten Jahre hinbringen können! Die Verlagshandlung der musik. Zeitung und ich – wir erbieten uns, das, was man uns vielleicht anvertrauen möchte, auf das pünktlichste an seine Bestimmung zu befördern, und Rechenschaft darüber in diesen Intelligenzblättern abzulegen."

Der Ertrag der Sammlung war allerdings sehr dürftig, wie aus dem Dankschreiben der Bach und aus der Spendenliste hervorgeht, die im Intelligenzblatt Nr. 4 zur AMZ 3 vom Dezember 1800, Sp. 13f., veröffentlicht wurde:
"Dank.
Es ist mir durch die Verwendung der Herren Breitkopf-Härtel, und Hrn. Fr. Rochlitz beym Publikum gelungen, eine so ansehnliche und gütige Unterstützung meines Alters und meiner Schwäche zu erhalten, daß mein inniger Dank dafür nur mit mir selbst aufhören kann. 96 Thaler und 5 Groschen sind es, die ich von der Güte meiner Unterstützer durch die Hände jener Herren erhalten habe. Wenn es den Geistern meines verdienten Vaters und meiner verdienten Brüder vergönnet ist, an meinen Schicksalen Antheil zu nehmen: wie sehr muß ihr bisheriges Mitleid in Mitfreude verwandelt worden seyn!
Leipzig, im Dezember. 1800.
Regina Susanna Bach"

Die auf den Brief folgende Spendenliste enthält 13 Posten, darunter solche von 16 und 17 Groschen. Der größte Einzelbetrag, 55 Gulden in Banknoten, kam aus Wien.

11 In Wien ist im Frühjahr durch Johann Andreas Streicher eine neue Sammlung durchgeführt worden, die schließlich 307 Gulden Wiener Courant (= 200 Reichstaler) erbrachte. Die Empfängerin bedankte sich dafür mit den folgenden Worten (Intelligenz-Blatt Nr. 9 zur AMZ 3 vom Juni 1801, Sp. 34):

"Mit Thränen der Freude empfange ich diese, alle meine Erwartungen weit übersteigende Summe. Keiner von den Tagen, die mir die Vorsehung noch schenkt, soll vergehen, ohne daß ich dieser meiner Wohlthäter mit innigem Danke gedächte.
Leipzig, den 20sten May 1801.
Regina Susanna Bach."

In einem vorangehenden Bericht (Sp. 33), der die Namen der Spender enthält, weisen Rochlitz und der Verlag auf die Verdienste Streichers hin und erwähnen auch Beethovens Engagement:
"Zugleich erklärt sich der berühmte Wiener Komponist und Virtuos, Herr v. Beethoven, er werde eins seiner neuesten Werke einzig zum Besten der Tochter Bachs im Breitkopf-Härtelschen Verlage herausgeben, damit die gute Alte von Zeit zu Zeit Vortheil davon ziehen möchte: wobey er auf so edle Weise auf möglichste Beschleunigung der Herausgabe dringt, 'damit uns ja nicht etwa diese Bach früher stürbe, als jener Zweck erreicht würde'".

Beethovens Vorhaben wurde jedoch nicht verwirklicht. Zu dem gesamten Vorgang s. Reinhold Bernhardt, Das Schicksal der Familie Johann Sebastian Bachs , in: Der Bär 1930, S. 167 – 176. Dort auch das Faksimile eines Dankschreibens der Regina Susanna Bach vom Mai 1801.

© 1998 G. Henle Verlag, München