65. Beethoven an Franz Gerhard Wegeler in Bonn
Vien am 29ten. Juni [1801] .
Mein guter lieber Wegeler, wie sehr danke ich dir für dein Andenken an mich, ich habe es so wenig verdient und um dich zu verdienen gesucht, und doch bist so sehr gut, und läßt dich durch nichts, selbst durch meine unverzeihliche Nachläßigkeit nicht abhalten, bleibst immer der treue gute biedere Freund; – daß ich dich und überhaupt euch, die ihr mir einst alle so lieb und theuer waret, vergessen könnte, nein das glaub nicht, es giebt Augenblicke, wo ich mich selbst nach euch sehne, ja bey euch einige Zeit zu Verweilen; – mein Vaterland die schöne gegend, in der ich das Licht der Welt erblickte, ist mir noch immer so schön und deutlich vor meinen Augen, als da ich euch verließ, kurz ich werde diese Zeit <mir> als eine der glüklichsten Begebenheiten meines Lebens betrachten, wo ich euch wieder sehen und unsern Vater Rhein begrüßen kann. – wann dies seyn wird, das kann ich noch nicht bestimmen, so viel will ich euch sagen, daß ihr mich nur recht groß wiedersehen werdet, nicht als Künstler sollt ihr mich größer, sondern auch als Mensch sollt ihr mich besser, Vollkommener finden, und ist dann der Wohlstand etwas besser in unserm vaterlande, dann soll meine Kunst sich nur zum Besten der Armen zeigen, o glückseeliger Augenblick, wie glücklich halte ich mich, daß ich dich herbey schaffen, dich selbst schaffen kann – von meiner Lage willst du was wissen, nun sie wäre eben so schlecht nicht, seit vorigem Jahr hat mir Lichnowski , der, so unglaublich es dir auch ist, wenn ich dir sage, immer mein wärmster Freund war und geblieben, (kleine Mißhelligkeiten gab's ja auch unter unß), (und haben nicht eben diese unsere Freundschaft mehr befestigt?) eine sichere Summe von 600 fl. ausgeworfen, die ich, so lang ich keine für mich passende Anstellung finde, ziehen kann, meine Komposizionen tragen mir viel ein, und ich kann sagen, daß ich mehr Bestellungen habe, als es fast möglich ist, daß ich machen kann. auch habe ich auf jede Sache 6, 7 Verleger und noch mehr, wenn ich mir's angelegen sein lassen will, man accordirt nicht mehr mit mir, ich fodere und man zahlt, du siehst, daß es eine hübsche Lage ist, z.B. ich sehe einen Freund in Noth und mein Beutel leidet eben nicht, ihm gleich zu helfen, so darf ich mich nur hinsezen und in kurzer Zeit ist ihm geholfen – auch bin ich ökonomischer als sonst, sollte ich immer hier bleiben, so bringe ichs auch sicher dahin daß ich jährlich immer eine[n] Tag zur Akademie erhalte, deren ich einige gegeben. <erhalten> nur hat der neidische Dämon, meine schlimme Gesundheit, mir einen schlechten Stein ins Brett geworfen nemlich: mein Gehör ist seit 3 Jahren immer schwächer geworden, und das soll sich durch meinen Unterleib, der schon damals wie Du weist elend war, hier aber sich verschlimmert hat indem ich beständig mit einem Durchfall behaftet war, und mit einer dadurch außerordentlichen schwäche, ereignet haben, Frank wollte meinem leib den Ton wieder geben durch stärkende Medizine und mein Gehör durch Mandelöhl, aber prosit , daraus ward nichts, mein gehör ward immer schlechter, und mein Unterleib blieb immer in seiner vorigen Verfassung, das dauerte bis voriges Jahr Herbst, wo ich manchmal in Verzweiflung war, da rieth mir ein Medizinischer asinus das kalte Bad für meinen Zustand, ein gescheiderer das gewöhnliche Lauwarme DonauBad, das that wunder, mein Bauch ward besser mein Gehör blieb oder ward noch schlechter, diesen Winter gieng's mir wircklich elend, da hatte ich wirckliche schreckliche Koliken, und ich sank wieder ganz in meinen Vorigen Zustand zurück; und so bliebs bis ohngefähr 4 Wochen, wo ich zu Wering gieng indem ich dachte, daß dieser Zustand zugleich auch einen Wundarzt erfodere, und ohnedem hatte ich immer vertrauen zu ihm, ihm gelang es nun fast gänzlich diesen heftigen Durchfall zu hemmen, er verordnete mir das laue Donaubad, wo ich jedesmal noch ein fläschgen stärkende sachen hineingießen muste, gab mir gar keine Medizin, bis vor ohngefähr 4 Tagen Pillen für den Magen und einen Thee für's Ohr, und darauf kann ich sagen befind ich mich stärker und besser <ich> nur meine ohren, die sausen und Brausen tag und Nacht fort; ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu, seit 2 Jahren fast meide ich alle gesellschaften, weils mir nun nicht möglich ist, den Leuten zu sagen, ich bin Taub, hätte ich irgend ein anderes Fach, so giengs noch eher, aber in meinem Fach ist das ein schrecklicher Zustand, dabey meine Feinde, deren Anzahl nicht geringe ist, was würden diese hiezu sagen – um dir einen Begriff von dieser wunderbaren Taubheit zu geben, so sage ich dir, daß ich mich im Theater ganz dicht am Orchester <oder>gar anlehnen muß, um den schauspieler zu verstehen, die hohen Töne von Instrumenten singstimmen, wenn ich etwas weit weg bin höre ich nicht, im sprechen ist es zu Verwundern daß es Leute giebt die es niemals merkten, da ich meistens Zerstreuungen hatte, so hält man es dafür, manchmal auch hör ich den Redenden der leise spricht kaum, ja die Töne wohl, aber die worte nicht, und doch sobald jemand schreit, ist es mir unausstehlich, was es nun werden wird, das weiß der liebe Himmel, weringsagt, daß es gewiß besser werden wird, <obwohl ich es> wenn auch nicht ganz – ich habe schon oft den schöpfer und mein daseyn verflucht, Plutarch hat mich zu der Resignation geführt, ich will wenn's anders möglich ist, meinem schicksaal trozen, obschon es Augenblicke meines Lebens geben wird, wo ich das unglücklichste Geschöpf gottes seyn werde. Ich bitte dich von diesem meinen Zustand niemanden auch nicht einmal der Lorchen etwas zu sagen, nur als geheymniß vertraue ich dir's an, lieb wäre mirs, wenn du einmal mit Wering darüber Brief wechseltest, sollte mein Zustand fortdauren, so komme ich künftiges frühjahr zu dir, du miethe[s]t mir irgendwo in einer schönen Gegend ein Hauß auf dem Lande, und dann will ich ein halbes Jahr ein Bauer werden, vieleicht wird's dadurch geändert, resignation : welches elende Zufluchtsmittel, und mir bleibt es doch das einzige übrige. –
du verzeihst mir doch, daß ich dir in deiner ohnedem trüben Lage noch auch diese Freundschaftliche Sorge aufbinde – Steffen Breuning ist nun hier und wir sind fast täglich zusammen, es thut mir so wohl die alten Gefühle wieder hervorzurufen, er ist wirklich ein guter Herrlicher Junge geworden der was weiß, und das Herz wie wir alle mehr oder weniger auf dem Rechten Flecke hat, ich habe eine sehr schöne Wohnung jezt, welche auf die Bastey geht und für meine gesundheit doppelten werth hat, ich glaube wohl, daß ich es werde möglich machen können, daß B. zu mir komme. –
deinen Antiochum sollst du haben, und auch noch recht viele Musikalien von mir, wenn du anders nicht glaubst, daß es dich zu viel kostet, aufrichtig deine Kunstliebe freut mich doch noch sehr, schreibe mir nur, wie es zu machen ist, so will ich Dir alle meine Werke schicken, das nun freylich eine hübsche Anzahl ist, und die sich täglich vermehrt –
statt dem Portrait meines Großvaters, welches ich dich bitte mir sobald als möglich mit dem Postwagen zu schicken, schicke ich Dir das seines Enkels deines dir immer guten und herzlichen Beethowen, welches hier bey Artaria, die mich hier darum oft ersuchten so wie viele andere auch auswärtige Kunsthandlungen, herauskommt. – Stoffel will ich nächstens schreiben, und ihm ein wenig den Text lesen über seine störrische laune, ich will ihm die alte Freundschaft recht ins Ohr schreien, er soll mir heilig versprechen, euch in euren ohnedem trüben Umständen nicht <zu stören> noch mehr zu kränken – auch der guten Lorchen will ich schreiben, nie habe ich auch einen unter euch lieben guten Vergessen, wenn ich euch auch gar nichts von mir hören ließ, aber schreiben, das weist du, war nie meine sache, auch die besten Freunde haben Jahre lang keine Briefe von mir erhalten, ich lebe nur in meinen Noten, und ist das eine kaum da so ist das andere schon angefangen, so wie ich jezt schreibe, mache ich oft 3 4 sachen zugleich – schreibe mir jezt öfter, ich will schon sorge tragen, daß ich Zeit finde, dir zuweilen zu schreiben, grüße mir alle, auch die gute Frau Hofräthinn , und sag ihr, daß ich noch zuweilen einen raptus han, was Koch's angeht, so wundere ich mich gar nicht über deren Veränderung, das glück ist kugelrund und fällt daher natürlich nicht immer auf das edelste, das beste – wegen Rieß , den mir herzlich grüße, was seinen sohn anbelangt, will ich dir näher schreiben, obschon ich glaube, daß um sein Glück zu machen Paris besser als wien sey, Vien ist überschüttet mit Leuten, und selbst dem Bessern Verdienst fällt es dadurch hart, sich zu halten – bis den Herbst oder bis zum Winter werde ich sehen, was ich für ihn thun kann, weil dann alles wieder in die Stadt eilt –
leb wohl guter treuer Wegeler sey versichert von der liebe und Freundschaft
deines Beethowen.
1
Wegeler und ihm folgend mehrere andere Herausgeber datierten den Brief mit 29.6.1800, s. Wegeler/ Ries S. 22 und 28. Dementsprechend wurde auf dem Autograph von fremder Hand die Jahreszahl 1800 mit Bleistift ergänzt. Aus inhaltlichen Gründen ist jedoch anzunehmen, daß der Brief am 29.6.1801 geschrieben wurde, vgl. u.a. TDR II, S. 285 und 290ff.
2
Fürst Karl Lichnowsky.
3
Vermutlich Johann Peter Frank oder dessen Sohn Joseph. Johann Peter Frank (1745 – 1821) war einer der angesehensten Ärzte und medizinischen Lehrer in Wien, wohin er 1795 zur Regelung des militärischen Sanitätsdienstes berufen worden war. Er war Direktor des Allgemeinen Krankenhauses daselbst. 1804 folgte er einem Ruf nach Wilna (Litauen), um aber bald nach St. Petersburg zu gehen. 1808 kehrte er nach Wien zurück. Joseph Frank (1771 – 1842) kam 1796 nach Wien und war als Primararzt am Allgemeinen Krankenhaus tätig. 1804 ging er als Professor der Pathologie ebenfalls nach Wilna. Beethoven war mit der Familie Frank durch die Sängerin Christine Gerhardi bekannt geworden, die seit dem 20.8.1798 mit Joseph Frank verheiratet war.
4
Tonus, in der Medizin Spannungszustand der Muskeln, der für die Durchblutung von Bedeutung ist. Beethoven spielt auf die Doppeldeutigkeit des Wortes an.
5
Gerhard von Vering (1755 – 1823), Stabsfeldarzt in Wien. Seine Tochter Julie (1791 – 1809) heiratete im April 1808 Stephan von Breuning.
6
Möglicherweise meint Beethoven damit den Rückzug aus dem öffentlichen Leben, wie er ihn bei Plutarch aus den Biographien griechischer und römischer Staatsmänner kennenlernen konnte. Für ihn mochte dies die Aufgabe seiner künstlerischen Aktivitäten und die Flucht in das Landleben bedeuten, wie aus den folgenden Ausführungen zu schließen ist.
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Wegelers Braut Eleonore Brigitte von Breuning (1771 – 1841).
8
Stephan von Breuning war Ende Mai 1801 anläßlich der Versammlung des Großkapitels des Deutschen Ordens (1. – 14.6.1801, Koadjutorwahl) von Mergentheim nach Wien gekommen.
9
Die Wohnung ist nicht eindeutig zu identifizieren. Smolle nimmt aufgrund von Brief 36 das sogenannte "Hambergersche Haus" auf der Wasserkunstbastei Nr. 1275 an, s. Kurt Smolle, Wohnstätten Beethovens von 1792 bis zu seinem Tod , Bonn 1970, S. 20. Siehe dagegen die Einwände von Rudolf Klein, Beethovenstätten in Österreich , Wien 1970, S. 27 und besonders Harry Goldschmidt, Beethoven in neuen Brunsvik-Briefen , in BJb 9 (1977), S. 127ff.
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Nach Wegeler handelte es sich um "ein bekanntes Bild von [Heinrich] Füger [1751 – 1818], Director der Maler-Akademie in Wien, wie Erasistratus die Liebe des Antiochus zu seiner Stiefmutter Stratonice erkennt" , s. Wegeler/ Ries S. 37, Anm. 12.
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Gemeint ist das Porträt von Beethovens Großvater Ludwig van Beethoven (1712 – 1773) von dem kurfürstlichen Hof-Bildhauer und -Maler Leopold(?) Radoux in Bonn. Wegeler erfüllte Beethovens Bitte. Das Gemälde gelangte aus dem Besitz der Nachkommen des Neffen Karl schließlich in das Historische Museum der Stadt Wien.
12
Gemeint ist wahrscheinlich der Stich von Johann Joseph Neidl nach einer verschollenen Zeichnung von Gandolf Ernst Stainhauser von Treuberg, der im Herbst 1801 allerdings nicht bei Artaria & Comp., sondern bei Johann Cappi erschienen ist. Cappi war bis zum 16.5.1801 Teilhaber von Artaria & Comp. und hat erst am 27.9.1801 eine eigene Handelsbefugnis erhalten. Das Beethoven -Porträt könnte also durchaus von Artaria & Comp. in Auftrag gegeben worden und bei der Trennung in Cappis Eigentum übergegangen sein. Jedenfalls war der Stich schon im Sommer 1801 fertiggestellt. Franz Anton Hoffmeister verschaffte sich im August 1801 noch vor Publikation einen Abzug und sandte diesen zum Nachstich an seinen Kompagnon Kühnel in Leipzig: "ich lege Ihnen hier das ganz neu gemachte Portrait des H.[errn] v Beethoven bey. es ist hier noch gar nicht zu Kauf zu haben. ich dächte sie ließen es an der Stelle Copi ren. die unterschriften vom Zeichner und Kupferstecher müßten weg bleiben; auch müssen sie eine andere Einfassung machen lassen, damit es als Nachstich anderst als das Original aussieht. aber nur gleich hand angelegt" (Brief an Hoffmeister & Kühnel aus Wien vom 26.8.1801, Leipzig, Sächsiches Staatsarchiv, Musikverlag C.F. Peters, Nr. 1404 fol. 71r).
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Stephan von Breunings Bruder Christoph (1773 – 1841).
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Maria Helene von Breuning (1750 – 1838).
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Beethoven bezieht sich auf das Verhältnis der Babette Koch (1771 – 1807) zu Graf Anton Belderbusch (1758 – 1820). Der Graf hatte, nachdem ihn seine erste Frau, Maria Anna geb. Freiin Wamboldt von Umstadt, 1796 verlassen hatte, um sie geworben, konnte sie aber erst 1802 nach päpstlicher Dispens und zivilrechtlicher Scheidung heiraten, vgl. Max Braubach, Eine Jugendfreundin Beethovens. Babette Koch-Belderbusch und ihr Kreis , Bonn 1948, S.90 – 100.
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Franz Anton Ries (1755 – 1846), Vater von Ferdinand Ries (1784 – 1838).
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Ungeachtet der Warnung Beethovens kam Ferdinand Ries gegen Ende 1801 doch nach Wien.