216. Beethoven an Gräfin Josephine Deym
[Wien, März/April 1805]
Wie ich sagte die Sache mit L[ichnowsky] ist nicht so arg meine Geliebte <g>J.[osephine] als man sie ihnen machte – L. hatte durch Zufall dasLied an die Hoffnungbey mir liegen sehen, ohne daß ich es bemerkte, und er auch nichts darüber sagte, er schloß aber hieraus, daß ich wohl nicht ganz ohne Neigung für sie seyn würde, und als nun Zmeskall in der Angelegenheit von ihnen und Tante Gu.zu ihm kam, fragte er ihn, ob er nicht wüste, ob ich öfter zu ihnen gehe, Zmeskall sagte nicht ja und nicht nein, im Grunde konnte er auch nichts sagen, da ich seiner Wachsamkeit mich so sehr als möglich entzogen hatte – Lichnowsky sagte, er glaube bemerkt zu haben, daß ich nicht ohne Neigung für sie durch einen Zufall (das Lied), Wovon er aber wie er mich hoch und theuer versicherte Z. [meskall] nichts gesagt hatte. – und Z. solle mit der Tante Gui= reden, daß sie mit ihnen spräche, daß sie mich mehr aufmunterten meineOperzu vollenden, indem er glaube, daß das viel gutes Wirken könne, indem er sicher wüste, wie Viel Achtung ich für sie hätte – das ist das ganze Factum – Z – vergröserte es – und Tante Gu – ebenfalls – unterdessen – können sie nun ruhig seyn, indem niemand als diese zwei Personen in Anschlag kommen –
L. sagte selbst, daß er selbst zu sehr mit Delikatesse Bekannt sey, als daß er auch nur ein Wort gesagt hätte, wenn er für gewiß ein engeres Verhältniß vorausgesezt hätte – im Gegentheil wünsche er nichts so sehr als daß ein solches Verhältniß zwischen ihnen und mir entstehen möge, wenn es möglich wäre, indem, so viel man ihm von ihrem Kharakter berichtet habe, dieses nicht anders als Vortheilhaft für mich seyn könne. – basta così – Es ist nun Wahr, ich bin nicht so thätig als ich hätte sein sollen – aber ein innerer Gram – hatte mich lang – meiner sonst gewöhnlichen Spannkraft beraubt, einige Zeit hindurch als das Gefühl der Liebe in mir für sie angebetete J. <an> zu keimen anfing, vermehrte sich dieser noch – sobald wir einmal wieder ungestört beysammen sind, dann sollen sie von meinen wirklichen Leiden und von dem Kampf mit mir selbst zwischen Tod und leben, denn ich einige Zeit hindurch führte unterrichtet seyn – Ein Ereigniß machte mich lange Zeit an aller Glückseeligkeit des Lebens hienieden zweiflen – nun ist es nicht halb mehr so arg, ich habe ihr Herz gewonnen, o ich weiß es gewiß, welchen Werth ich drauf zu legen habe, meine Thätigkeit wird sich wieder Vermehren, und – hier verspreche ich es ihnen hoch und theuer, in kurzer Zeit werde ich meiner und ihrer Würdiger da stehn – o mögen sie doch einigen Werth drauf legen, durch ihre Liebe meine Glückseeligkeit zu gründen – zu Vermehren – o geliebte J., nicht der Hang zum andern Geschlechte zieht mich zu ihnen, nein nur sie ihr ganzes Ich mit allen ihren Eigenheiten – haben meine Achtung – alle meine gefühle – mein ganzes Empfindungsvermögen an sie gefesselt – als ich zu ihnen kam – war ich in der festen Entschlossenheit, auch nicht einen Funken Liebe in mir keimen zu laßen, sie haben mich aber überwunden – ob sie das wollten? – oder nicht wollten? – diese Frage könnte mir J. wohl einmal auflösen – Ach himmel, was mögt ich ihnen noch alles sagen – wie ich an sie denke – was ich für sie fühle – aber wie schwach wie armseelig diese sprache – wenigstens die meinige –
Lange – Lange – Dauer – möge unsrer Liebe werden – sie ist so edel – so sehr auf wechselseitige Achtung und Freundschaft gegründet. – selbst die große Ähnlichkeit in so manchen sachen, im denken und empfinden – o sie laßen mich hoffen, daß ihr Herz lange – für mich schlagen werde – das meinige kann nur – au[f]hören – für sie zu schlagen – wenn – es gar nicht mehr schlägt – geliebte J.
leben sie Wohl – Ich hoffe aber auch – daß sie durch mich ein wenig glüklich werden – sonst wär ich ja – eigennüzig
1
Anhaltspunkt für die Datierung ist das erwähnte Lied An die Hoffnung op. 32. Es ist wahrscheinlich im März 1805 entstanden. Josephine Deym berichtet ihrer Mutter, Anna Brunsvik, am 24.3.1805: "Der gute Beethoven hat mir ein hübsches Lied, das er auf einen Text aus der Urania ' an die Hoffnung' für mich geschrieben, zum Geschenk gemacht" , s. La Mara, Beethoven und die Brunsviks , Leipzig 1920, S. 59. Schmidt-Görg sieht in op. 32 jenes Lied, das Beethoven Anfang Januar 1805, vielleicht als Neujahrsgabe, Josephine geschenkt hat und das in der Korrespondenz der Geschwister Brunsvik im Januar und Februar dieses Jahres mehrfach, jedoch ohne Angabe des Titels oder des Incipits erwähnt wird, s. La Mara a.a.O., S. 52ff. Die Entstehungszeit müßte dann entsprechend früher angesetzt werden, vgl. JTW S. 150. Allerdings wäre dann Josephines Mitteilung an die Mutter vom 24.3.1805 sinnlos, denn diese hätte das Lied, das die bei ihr lebende Tochter Therese seit dem 17.1.1805 in Abschrift besaß und mehrfach aufgeführt hat, längst kennen müssen. Es sprechen mehrere Indizien dafür, daß das Geschenk vom Januar 1805 nicht op. 32, sondern das Lied Andenken WoO 136 gewesen ist.
2
Fürst Karl Lichnowsky.
3
Op. 32.
4
Lichnowsky hat offenbar das Autograph oder eine für Josephine bestimmte Abschrift mit einer intimen Widmung an sie gesehen. Die Handschrift ist nicht überliefert.
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Gräfin Susanna Guicciardi.
6
Leonore bzw. Fidelio. Beethoven arbeitete daran seit Januar 1804.
7
Der Satz "wenn ... wäre" ist später zwischen die Zeilen eingefügt worden. Er spielt wahrscheinlich auf den Standesunterschied zwischen Beethoven und der Gräfin an.
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Vermutlich eine Anspielung auf seine Suizidabsichten, die durch die Erkenntnis der Unheilbarkeit seiner Ertaubung hervorgerufen wurden und bereits in dem " Heiligenstädter Testament" vom Oktober 1802 zum Ausdruck kommen.