439. Beethoven an Franz Gerhard Wegeler in Koblenz
Vien am 2ten May 1810
Guter alter Freund – beynahe kann ich es denken erwecken meine Zeilen Staunen bey dir – und doch, obschon du keine schriftliche Beweise hast, bist du doch noch immer bey mir im lebhaftesten Andenken – Unter meinen Manusc<hriften>ripten ist selbst schon lange Eins, was dir zugedacht ist, und was du gewiß noch diesen Sommer erhälst – seit ein 2 Jahren hörte ein stilleres ruhigeres Leben bey mir auf, und ich ward mit gewalt in das Weltleben gezogen, noch habe ich kein Resultat dafür gefaßt, und vieleicht eher dawider – doch auf wen mußten nicht auch die Stürme von außen Wirken? Doch ich wäre glüklich, vieleicht einer der Glüklichsten Menschen, wenn <ich> nicht der Dämon in meinen Ohren seinen Aufenthalt aufgeschlagen – hätte ich nicht irgendwo gelesen, der Mensch dörfe nicht freywillig scheiden von seinem Leben, so lange er noch eine gute That verrichten kann, längst wär ich nicht mehr – und zwar durch mich selbst – o so schön ist das Leben, aber bey mir ist es für immer vergiftet –
du wirst mir eine Freundschaftliche Bitte nicht abschlagen, wenn ich dich ersuche mir meinen Taufschein zu besorgen – was nur immer für Unkosten dabey sind, da <mit> Steffen Breuning mit dir in Verrechnung steht, so kannst du dich da gleich bezahlt machen, so wie ich hier an Steffen gleich alles ersezen werde – solltest du auch selbst es der Mühe werth halten, der sache nachzuforschen, und es dir gefallen, die reise von Koblenz nach Bonn zu machen, so rechne mir nur alles an – Etwas ist Unterdessen in Acht zu nehmen, nemlich: daß noch ein Bruder früherer Geburt vor mir war, der ebenfalls Ludwig hieß nur mit dem Zusaze "Maria" , aber gestorben, um mein gewisses Alter zu bestimmen, muß man also diesen erst finden, da ich ohnedem schon weiß, daß <von> durch andere hierin ein Irrthum entstanden, da man mich als älter angegeben als ich war – leider habe ich eine Zeitlang gelebt, ohne <je> selbst zu wissen wie alt ich bin – Ein FamilienBuch hatte ich, aber es hat sich verlohren, der Himmel weiß, wie – also laß dich's nicht verdrießen, wenn ich dir diese sache sehr warm emphele, den Ludwig Maria, und den jezigen nach ihm gekommenen Ludwig ausfindig zu machen – Je bälder du mir den Taufschein schikst, desto größer Meine Verbindlichkeit – man sagt mir, daß du in euren Freymaurerlogen ein lied von mir singst, vermuthlich in E dur , und was ich selbst nicht habe, schick mir's, ich verspreche dir's drey und vierfaltig auf eine andere Art zu ersezen –
denke mit einigem Wohlwollen an mich, so wenig ich's dem äußern scheine nach um dich verdiene – Umarme küße deine verehrte Frau , deine Kinder , alles was dir lieb ist – im Namen deines Freundes
Beethown
1
Wegeler merkt an: "Mein Loos hierin war auch jenes seines Schülers Ries; die Dedication blieb in den Briefen. Sind diese aber nicht höheren Werthes?" Siehe Wegeler/ Ries S. 47.
2
Wegeler erläuterte später (1845) mit einem Zitat aus einem Brief Stephan von Breunings, den dieser "drei Monate" nach Beethovens Schreiben an ihn gerichtet hatte: " Beethoven sagt mir alle Woche wenigstens einmal, daß er Dir schreiben will; allein ich glaube, seine Heiraths-Parthie hat sich zerschlagen, und so fühlt er keinen so regen Trieb mehr, Dir für die Besorgung des Taufscheins zu danken" , s. Franz Gerhard Wegeler, Nachtrag zu den biographischen Notizen über Ludwig van Beethoven , Koblenz 1845, S. 14. Beethovens Heiratspläne galten offenbar Therese Malfatti.
3
"früherer Geburt" und "mir" doppelt unterstrichen.
4
Ludwig Maria van Beethoven, getauft am 2.4.1769, gestorben am 8.4.1769.
5
Wegeler erfüllte Beethovens Wunsch und beschaffte ihm die folgende Taufurkunde (Bonn, Beethoven-Haus, Slg. H.C. Bodmer Br 282):
" Departement de Rhin et Moselle
Mairie de Bonn
Extrait du Registre de Naissances de la Paroisse de St Remy à Bonn
Anno millesimo septingentesimo Septuagesimo die decima septima Decembris baptizatus est L<o>udovicus. Parentes D. Joannes van Beethoven, et Helena Keverichs, conjuges, <Parentes>Patrini D. Lodovicus van Beethoven et Gertrudis Müllers dicta Baums.
Pour Extrait Conforme Delivré à la Mairie de Bonn
Bonn le 2 Juin 1810
L'adjoint delegué Müller
[Von anderer Hand:]
Vu par nous
President du Tribunal Civil de l'arrondissement de Bonn pour legalisation de la Signature d'autre part du Sieur Muller adjoint de la mairie de Bonn.
Donnè en notre hotel à Bonn le 2 Juin 1810.
[unleserliche Unterschrift]
Par ordonnance
Groeninger
[C. Goffier]
[Vermerk links daneben unter einem Stempel:]
droits de 9 fr 25c.
[Vermerk links neben dem Haupttext:]
approuvé le mot surchargé ci contre ".
Beethoven war von der Korrektheit des Taufregisterauszuges nicht überzeugt und notierte auf der Rückseite:
"Es scheint der Taufschein nicht richtig, da noch ein ludwig vor mir, eine Baumgarten war glaube ich meine Pathe.
ludwig van Beethowen
1772" [rechts daneben]
6
Dazu Anmerkung in Wegeler/ Ries, S. 47: " Beethoven ist hier im Irrthum; es war nicht ein eigenes von ihm componirtes Lied, was er nicht mehr hatte, sondern nur ein anderer dem Opferlied von Matthisson [WoO 126] unterlegter Text. Gleiches unternahm ich bei dem von ihm sehr früh componirten Lied: Wer ist ein freier Mann? [WoO 117]" . Die beiden unterlegten Texte druckte Wegeler im Anhang, S. 67ff., ab.
7
Eleonore geb. von Breuning.
8
Helene (1803 – 1832) und Julius Wegeler (1807 – 1883).