523. Beethoven an Breitkopf & Härtel in Leipzig
Vien am 9ten 8 ber [=Oktober] 1811.
Von hier aus Tausend Entschuldigungen, und Tausend Dank für ihre angenehme Einladung nach leipzig, sehr wehe that es mir meinem innern triebe dahin und in die Umliegenden gegenden nicht folgen zu können, aber diesesmal war Irrthum an allen Ecken der ungarische Landtag ist, man spricht schon vorher davon daß der Erzherzog primas von Ungarn werden soll, und das Bischofthum Ollmüz zurücklaßen, ich selbst trage mich seiner kaiserl. Hoheit an, die als primas von Ungarn nicht weniger als 3 Millionen Einkünfte haben würden, eine Million für mich jährlich Rein durchzubringen (versteht sich alle Musikalischen guten Geister die ich dadurch in Bewegung für mich sezen wollte) in Tepliz erhalte ich keine weitern Nachrichten indem man von meinem Plane weiter zu gehn nichts wußte, ich glaube also bey meiner Reise die ich vorhabe, bey meiner Anhänglichkeit die ich für ihn hege, zu lezt obschon nicht ohne manchen Unwillen doch der leztern nachgeben zu müßen, um so mehr, da man bey Feyerlichkeiten meiner <wart> brauchte, also nachdem das pro <und Contra > erwählt flugs nach Vien, und das erste Donnerwort was ich höre ist, daß dem gnädigsten Herrn auf einmal alles Pfaffthum und Pfaffthun verschwunden ist, und also die ganze sache nichts seyn wird. –
General soll er werden was man ja bald (sie wissen versteht), und ich general <adjutant>quartiermeister bey der Bataille, die ich aber nicht verlieren will – was sagen sie dazu? –
ein anderes Ereigniß waren noch die Ungarn für mich, indem in meinen Wagen steige Nach Tepliz zu reisen erhalte ich ein Paket von ofen, mit dem ersuchen für <das> die pesther <Theater> Eröfnung des Neuen Theaters etwas zu schreiben, nachdem ich 3 Wochen in T.[eplitz] zu gebracht mich leidlich befand, seze ich troz dem Verboth meins Arztes hin, um den Schnurbärten, die mir von herzen Gut sind, zu helfen, schicke am 13ten September mein paket dorthin ab, in der Meynung daß den 1ten 8ber die Sache vor sich gehn solle, derweil verzieht sich die ganze Sache nun noch über einen ganzen Monath, den Brief, worin mir dieses angedeutet werden sollte, erhalte ich durch Mißverständnisse erst hier, und doch bestimmte mich doch auch dieses TheaterEreigniß wieder nach Vien zu gehen. – Unterdessen aufgeschoben ist nicht aufgehoben, ich habe das reisen gekostet und es hat mir sehr wohl <gethan> bekommen, jezt möchte ich schon wieder fort von hier – eben erhalte ich das Lebe wohl etc ich sehe daß sie doch auch andre E. [xemplare] Mit französischem Titel , warum denn, lebe wohl ist was ganz anders als les adieux das erstere sagt man nur einem Herzlich allein, das andere einer ganzen Versammlung ganzen städten – da sie mich so schändlich recensiren laßen, so sollen sie auch herhalten, viel weniger Platen hätten sie auch gebraucht, und das so sehr jezt erschwerte Umkehren wäre dadurch erleichtert worden damit Basta – wie komme aber ums himmels willen zu der Dedikation meiner Fantasie mit orchester an den König von Baiern? antworten sie doch so gleich hierüber, wenn sie mir dadurch ein Ehrenvolles Geschenk bereiten wollten, so will ihnen dafür danken, sonst ist mir so etwas gar nicht recht, haben sie es vieleicht selbst dedicirt, wie hängt dieses zusammen, Ungefragt darf man Königen nicht einmal etwas widmen – dem Erzherzog war auch das Lebewohl nicht gewidmet, warum nicht die Jahrzahl tag und datum wie ich's geschrieben abgedrukt, künftig werden sie schriftlich geben, alle Uberschriften <so heran> Unverändert, wie ich sie hinge sezt, beyzubehalten – das oratorium lassen sie wie überhaupt alles recensiren durch wen sie wollen, Es ist mir leid ihnen nur ein Wort über die elende R. [ezension] geschrieben zu haben, Wer kann nach solchen R. [ezensionen] fragen, wenn er sieht, wie die elendesten Sudler in die höhe von eben solchen elend R. [ezensenten] gehoben werden, und wie sie überhaupt am unglimpflichsten mit Kunstwerken umgehen und durch ihre Ungeschicklichkeit auch müßen, wofür sie nicht gleich den gewöhnlichen Maaßstab, wie der schuster seinen leisten, finden – ist etwas bey dem orator. zu berüksichtigen so ist es, daß es mein erstes und frühes Werk in der Art war in 14 tägen zwischen allem möglichen tumult und andern unangenehme ängstigenden Lebensereignissen (Mein Bruder hatte eben eine Todeskrankheit) geschrieben wurde, –
Rochlitz hat, wenn mir recht ist, schon noch ehe es ihnen zum stechen gegeben nicht günstig von dem Chor der Jünger "wir haben ihn gesehen" (in C dur) gesprochen, er nannte ihn komisch, eine Empfindung, die hier wenigstens Niemand im publikum darüber zeigte, da doch unter meinen Freunden auch Kritiker sind, daß ich wohl jezt ganz anders ein oratorium schreibe als damals das ist gewiß –
und nun recensirt so lange ihr wollt, ich wünsche euch viel vergnügen, wenns einem auch ein wenig wie ein Mückenstich pakt, so ist's ja gleich vorbey und ist der stich vorbey, dann machts einem einen ganz hübschen spaß re – re – re – re – re cen – cen – si – si – si – si – sirt sirt – sirt – Nicht bis in alle Ewigkeit, das könnt ihr nicht. hiermit Gott befohlen –
in dem oratorium war eine stelle wo die Horn sollten im stiche auf zwei linien gebracht werden nemlich das 2te horn hat Baßschlüßel das erste aber violin, leicht wird ihr Korrektor diese stelle finden, muß doch jeder Mensch mehr als einen schlüßel haben, wenn er auch nichts je auf schließt. – einen Brief an Kozebue werde ich ihnen schicken, und bitten daß sie ihn an seinen aufenthalts Ort befördern; – auch wird jemand von Berlin aus, dem ich das Briefporto ersparen <meine> seine Briefe an sie abschicken, daß sie mir dieselben dann hieher wieder gütigst befördern, nicht wahr sie nehmen mir schon so etwas nicht übel, was das Porto aus macht, werde ich ihnen nach jedesmaliger anzeige gleich abtragen – der Himmel erhalte sie nun, ich hoffe sie bald zu sehen, zu sprechen, sie sehen daraus meinen festen Vorsaz zu reisen – den säschsischen und besonders den leipziger liebhaber alles schöne für ihr wohlwollen für mich, wovon ich manches gehört, so auch vielen Dank den Musikkünstlern, von deren guten Eifer für mich ich auch gehört.
ihr
Ludwig van Beethowen
Wann erscheint die Meße?
— — — — — — — der Egmont?
schicken sie doch die ganze Partitur meinetwegen abgeschrieben auf meine Kosten (die Partitur h.d.) an Göthe, wie kann ein deutscher erster Verleger gegen den ersten deutschen dichter so unhöfflich so grob seyn? also geschwinde die Partitur nach Weimar.
was die Meße so könnte die dedikation verändert werden, das Frauenzimmer ist jezt geheirathet, und müßte der Name so verändert werden, sie kann also Unterbleiben, schreiben sie mir nur, wann sie sie heraus geben, und dann wird sich schon der Heilige für dieses Werk finden –
An Breitkopf Und Hertel in leipzig.
1
Der ungarische Landtag war am 29.8.1811 in Preßburg zusammengetreten. Die Tagungsperiode dauerte bis zum 1.6.1812.
2
Erzherzog Rudolph war 1805 zum Koadjutor des Erzbischofs von Olmütz mit dem Recht der Nachfolge gewählt worden. Sein Vorgänger, Kardinal Erzbischof Anton Theodor von Colloredo, ist am 12.9.1811 gestorben. Rudolph trat jedoch die Nachfolge noch nicht an, sondern ließ Graf Maria Thaddäus von Trauttmansdorff den Vortritt.
3
Nach dem "Anzeigs-Protocoll" der Stadt Teplitz ist Beethoven am 18.9.1811 nach Wien abgereist. Thayer vermutet aufgrund von Aufzeichnungen Otto Jahns, die wohl auf Informationen von Aloys Fuchs zurückgehen, daß Beethoven einen Umweg über Troppau gemacht habe, um dort eine Aufführung seiner Messe op. 86 zu leiten, s. TDR III, S. 283f. Der vorliegende Brief läßt diese Annahme als zweifelhaft erscheinen.
4
Die Musik zu August von Kotzebues Festspielen König Stephan oder Ungarns erster Wohltäter (op. 117, Vorspiel) und Die Ruinen von Athen (op. 113, Nachspiel).
5
Nach Thayers Überlegungen sandte Beethoven das Paket erst am Montag, dem 16.9.1811, ab. Er stützt sich darin auf die Angaben in Brief 525 .
6
Die Eröffnung des neuen Theaters in Pest war ursprünglich für den 4.10.1811, den Namenstag des Kaisers, vorgesehen, wurde aber schließlich auf den 9.2.1812 verschoben.
7
Der Brief ist nicht überliefert.
8
Es geht um die Ausgabe von op. 81a. Beethoven hatte ein zweisprachiges Titelblatt gewünscht, s. Brief 499 vom 20.5.1811. Der Verlag hat die Ausgabe dagegen mit zwei verschiedenen Titelblättern, einem französischen und einem deutschen, veröffentlicht.
9
Vielleicht eine Anspielung auf Modetitel wie Les Adieux de Paris oder Les Adieux de Londres , die in der Klaviermusik der Zeit im Schwange waren.
10
Die Originalausgabe der Chorfantasie op. 80 ist König Maximilian Joseph von Bayern (1756 bis 1825) gewidmet.
11
Siehe dagegen Beethovens Brief an den Verlag vom 12.4.1811 (Brief 492).
12
Die Stichvorlage für die bei Breitkopf & Härtel erschienene Originalausgabe von op. 81a ist nicht überliefert. Das Autograph des ersten Satzes datierte Beethoven mit "Vien am 4ten May 1809" .
13
Möglicherweise hatte Beethoven in einem nicht überlieferten Schreiben auf die Rezension der Lieder op. 75 reagiert, die in der AMZ 13 (Nr. 35 vom 28.8.1811), Sp. 593ff. erschienen war. Einige Stücke (Nr. 1, 5 und 6) wurden darin sehr abqualifiziert.
14
Beethoven arbeitete an op. 85 wahrscheinlich einige Zeit länger; zur Datierung der Skizzen s. JTW S. 133f.; zur ersten Fassung und den späteren Revisionen s. Alan Tyson, The 1803 Version of Beethoven's Christus am Oelberge , in: The Musical Quarterly 56 (1970), S. 551 – 584.
15
Nr. 4, Chor der Krieger . Beethoven hatte schon 1805 durch Fürst Karl Lichnowsky eine Partitur des Oratoriums in Leipzig vorlegen lassen. Ein Verlagsvertrag kam damals nicht zustande, s. Brief 209 und 218 vom 16.1. bzw. 18.4.1805.
16
Op. 85, Takt 39 – 41 der Einleitung. In der Originalausgabe wurden die beiden Hornstimmen Beethovens Wunsch entsprechend wiedergegeben.
17
Siehe Brief 546 und 545 vom 28.1.1812.
18
Vermutlich ist Amalie Sebald gemeint.
19
Op. 86 ist im Oktober 1812 erschienen.
20
Die Ouvertüre von op. 84 war schon im Dezember 1810 erschienen (Stimmen). Die Lieder und Zwischenakte kamen im Januar 1812 in Stimmen und im Mai 1812 in Klavierauszug heraus. Eine Partitur des gesamten Werkes wurde erst 1831 veröffentlicht.
21
Goethe verzeichnete den Empfang des Werkes in seinem Tagebuch am 23.1.1812 ("v Beethovens Musick zu Egmont"), s. Goethes Werke III/4, Weimar 1891, S. 255.
22
Es ist nicht bekannt, wer gemeint ist. Leitzmann vermutet Bettina Brentano, die am 11.3.1811 Achim von Arnim geheiratet hatte, s. Ludwig van Beethovens Briefe , in Auswahl hrsg. v. Albert Leitzmann, Leipzig 1909, S. 270f. Die Dedikation der Messe op. 86 war ursprünglich Nikolaus Zmeskall zugedacht, ging aber schließlich an Fürst Ferdinand Kinsky, s. Brief 474 vom 15.10. 1810 und und Brief 577 vom Mai 1812.