776. Beethoven an Johann Nepomuk Kanka in Prag
[Wien, kurz vor dem 11. Januar 1815]
Mein einziger verehrtester K.
was soll ich Denken, sagen, empfinden? – Von W.[olf] dencke ich, daß er nicht allein Blöße gegeben, sondern sich gar keine Mühe seine Blöße zu bedecken – Es ist unmöglich daß er seine Schrift mit allen dazu gehörigen Ordentlichen Zeugnissen versehn – der Befehl an die Kassa wegen der Scalaist früher vomFürst Kgegeben als seine Einwilligung mir meinen Gehalt in E.[inlösungs]s.[scheinen]auszubezahlen +wie die Zeugniße ausweisen. – deren datum man nur nachzusehn braucht – + – also nichtig ist der erstere Befehl – das Specis Facti beweiset daß ich über ein halb Jahr abwesend war von Vien, da ich eben nicht auf Geld anstand, ließ ich die sache gehn, derFürstvergaß drauf bey der Kassa den vorigen Befehl zu widerrufen, nicht aber auf sein +mir+ gegebnes wort auch +demvarnhagen (Offizier) + sein für mich gegebnes wort, wie das Zeugniß des Hr. von olivabeweist, welchem er kurz vor seiner Abreise von hier <sein Vers> und in die andere Welt sein Versprechen widerholte, und ihn nach seiner Zurückunft in Vien wieder zu sich bestellte +um die sache bey der Kassa in Ordnung zu bringen. – +, die aber durch seinen unvorhergesehnen Tod natürlich nicht erfolgen konnte – das Zeugniß vom offizier Varnhagen ist begleitet mit einem schreiben von der russischen Armee, worin er sich bereitwillig zeigt, die sache mit +einem Eid+ zu beschwören – das Zeugniß des Hr. oliva zeigt, daß auch dieser bereit ist, <den>seine Aussage vor gericht zu beschwören. – da ich das Zeugniß des obersten Grafen Bentheim fortgeschickt habe, so sage ich's nicht gewiß, mir scheint aber, daß auch dieserGraf in seinem Zeugniß sagt, daß er allenfalls die sache bereit sey, vor Gericht zu beschwören – und ich selbst bin bereit vor Gericht zu beschwören, daß Fürst Kinsky mir inPrag sagte, "daß er es nicht mehr als billig fände, mir meinen Gehalt in E.s. ausbezahlen zu laßen" dies seine eigne Worte – er gab mir selbst 60 # in Gold in Prag drauf, die mir damals ohngefähr 600 fl. gelten sollten, indem ich nicht Zeit hatte mich wegen meiner Gesundheit lange aufzuhalten und nach Tepliz reiste – da mir des Fürsten Wort heilig war, und ich nie etwas von ihm gehört hatte, was mich hätte verleiten sollen, zwei Zeugen vor ihn zu führen, oder mir etwas schriftliches von ihm geben zu laßen – <+sein+> ich sehe aus allem, daß dr. Wolf die sache Miserabel tractirt , und sie selbst nicht mit den schriften genug bekannt gemacht hat. – nun über den schritt, den ich jezt gemacht habe. – der Erzherzog Rudolf fragte mich vor einiger Zeit ob die K – – .sche Sache noch nicht geendigt, er muste etwas davon gehört haben, ich erklärte ihm, daß es schlecht aussehe, da ich nichts gar nichts wiße, <und>er <ich>erbot <höchstens>sich <ein>selbst zu schreiben, doch sollte ich ein schreiben beyfügen, so wie ihn auch mit allen gehörigen schriften zur K – – – schen sache bekannt machen, nachdem er sich überzeugt hatte, schrieb er den an denOberstburggrafenund schloß mein schreiben bey an selben, Der Oberstburggraf antwortete sogleich dem Erzherzog und auch mir, in dem Briefe an mich sagte er mir "daß ich ein Gesuch an dieLandRechte in Pragnebst allen Beweisen einreichen mögte, <wo>von wo man ihm es zuschicken würde, und daß er sein möglichstes thun würde, meine sache zu befördern" demErzherzog schrieb er auch auf's verbindlichste, ja er schrieb ausdrücklich "daß er +mit den Gesinnungen des seeligenFürsten Kynsky.in Betreff meiner vollkommen bekannt sey in Rücksicht dieser sache+ , und daß <er>ich <alles> ein Gesuch einreichen möge etc " Nun ließ mich der Erzherzog gleich rufen, sagte mir, ich solle die schrift machen laßen und ihm zeigen, auch glaubte er, daß man auf die bewilligung in E.s. antragen solle, da beweise genug, wenn auch nicht in gerichtlicher Form, für die Gesinnungen desFürsten da wären, und kein Mensch zweiflen könnte, daß derFürstbey seinem fortleben nicht +sein Wort+ sollte gehalten haben – wäre er heute Erbe, er würde keine andern Beweise fordern, als diejenigen, die da sind – hierauf nun schickte ich die schrift an Baron Pasqualati , der die Güte haben wird, selbe denLandrechteneinzureichen, <oder>erst nachdem diese sache schon eingeleitet war, erhielt dr. Adlersburg von dr. wolf einen Brief , worin er ihm anzeigte, auf 1500 fl. den Antrag gemacht zu haben, da man bis auf 1500 fl. schon gekommen ist, und bis zumOberstburggrafen, so wird man wohl auch noch auf die 1800 fl. kommen – keine Gnade ist es nicht, der seelge Fürst war einer derjenigen, welche am meisten in mich drangen, den Gehalt von 600 # in Gold jährlich, den ich in Westphalen erhalten konnte, auszuschlagen, "ich sollte doch keine Westphälischen Schinken essen" sagte er damals etc – einen andern Ruf nach Neapel schlug ich etwas später ebenfalls aus – ich kann eine gerechte Entschädigung verlangen für den Verlust, den ich erlitten, was hatte ich, während der Gehalt in B.[ank]Z.[etteln]bezahlt wurde nicht 400[0]fl. in Konwenzionsgeld!!! und das für einen solchen Gehalt, wie dieser von 600 # – Beweise sind genug da, für den der rechtlich handeln will – und was ist jezt wieder aus den E.s. geworden??!!! Es ist noch immer kein aequivalent für das, was ich eingebüßt – in allen Zeitungen wurde diese sache pomphaft ausgeschrieen, während ich dem Bettelstabe nahe war. – der Sinn des Fürsten ist offenbar und meines Erachtens die Familie verpflichtet, wenn sie sich nicht herabsezen will, in diesem Sinne zu handeln – auch haben sich die Einkünfte durch den Tod des Fürsten eher vermehrt als vermindert, Es ist also kein hinreichender Grund da<,> zu schmälern. – ihr Freundschaftliches schreiben , erhielt ich gestern – nun bin ich aber zu müde um ihnen das zu schreiben, was ich für sie fühle – ich lege zugleich meine sache <in>an ihren Geist, wie es scheint, ist der Oberstburggraf die Hauptperson, lassen sie sich nichts merken von dem, was er an den Erzherzog geschrieben, Es mögte nicht gut seyn, möge niemand als sie und Baron Pasqualati davon wissen – Anlaß haben sie genug, wenn sie die schriften durchsehen, um zu zeigen, wie unrichtig dr. W.[olf] die sache aufgefaßt habe. –
und man doch anders handlen müße – ich überlaße es ihrer Freundschaft für mich, wie sie es am besten finden zu handeln – erwarten sie meinen höchsten Dank und verzeihen sie, daß ich heute nicht mehr schreiben kann, so was ermüdet – lieber die gröste Musikalische Aufgabe
mein Herz hat schon etwas für sie gefunden, wo das ihrige auch schlagen wird, und das werden sie bald erhalten – vergeßen sie nicht auf mich armen Geplagten und Handeln – wirken sie so viel als nur möglich –
mit gröster Hochachtung ihr wahrer Freund
Beethowen
Für seine wohlgebohrn Her[r] von Kanka
1
Aus dem Inhalt ist zu erkennen, daß das vorliegende Schreiben vor Brief 777 (11.1.1815) verfaßt wurde. Es wurde zunächst nicht abgeschickt, weil sich Kanka, wie Beethoven am 11.1.1815 erfuhr, gegen die Einreichung eines neuerlichen Gesuchs an das böhmische Landrecht (Brief 772) ausgesprochen hatte, s. Brief 777 . Beethoven legte es später seinem Brief vom 14.1.1815 (Brief 778) bei.
2
Dr. Anton Wilhelm Wolf, Landesadvokat und oberstburggräflicher Mandatar in Prag, seit 1813 mit der Vertretung von Beethovens Interessen beauftragt.
3
Gemeint ist wohl die Klageschrift, die Wolf zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt gegen die fürstlich Kinskysche Vormundschaft beim böhmischen Landrecht in Prag eingereicht hat. Sie ist nicht überliefert.
4
Fürst Kinsky hatte am 16.1.1812 seiner Kasse die Anweisung zur Berechnung des Gehalts nach der Skala gegeben. Beethoven hatte danach einen Betrag von 725 Gulden und 48 Kreuzer in Einlösungsscheinen jährlich zu beziehen.
5
Kinsky hatte 1812 mehrfach mündlich die Zusage gegeben, seinen Anteil an Beethovens Gehalt künftig im ursprünglich vereinbarten Nominalwert von 1800 Gulden in Einlösungsscheinen zu zahlen, vgl. Brief 608 vom 30.12.1812.
6
Siehe Brief 664 .
7
Fürst Ferdinand Kinsky war am 3.11.1812 an den Folgen eines Reitunfalls gestorben.
8
Siehe Brief 745 vom Herbst 1814.
9
Graf Franz Anton von Kolowrat-Liebsteinsky, Mitvormund der minderjährigen Söhne Rudolph und Joseph des Fürsten Ferdinand Kinsky.
10
Beide Briefe sind nicht überliefert.
11
Siehe Brief 772 .
12
Freiherr Joseph Andreas Pasqualati in Prag, der Bruder des in Wien lebenden Beethoven-Freundes Johann Baptist Pasqualati.
13
Nicht überliefert. Wahrscheinlich ist derselbe Brief gemeint, der in Brief 767 erwähnt wird.
14
Beethoven bezieht sich auf seine Berufung als Kapellmeister an den Hof Jérôme Bonapartes nach Kassel im Jahre 1808.
15
Von einer Berufung Beethovens nach Neapel ist sonst nichts bekannt. Vielleicht stehen seine italienischen Reisepläne Anfang 1811 damit im Zusammenhang.
16
Das Beethoven im Rentenvertrag vom 1.3.1809 zugesicherte Gehalt betrug 4000 Gulden in Bankozetteln. Es reduzierte sich durch die österreichische Währungsreform 1811 auf 800 Gulden in Einlösungsscheinen, erhöhte sich danach aber wieder durch die Skalaberechnung und das Entgegenkommen Erzherzog Rudolphs, ohne jedoch den ursprünglichen Nominalwert zu erreichen. Die Konventionsmünze als Silberwährung und der Dukaten als Goldwährung blieben von der Währungsreform unberührt. 600 Dukaten hatten 1815 etwa den Wert von 2700 Gulden Konventionsmünze.
17
Die 1811 mit einem Verhältnis 1:1 zur Konventionsmünze eingeführten Einlösungsscheine waren bis Januar 1815 auf einen Kurs von 1:2,8 gefallen. Der weitere Kursverfall machte 1816 erneut eine Währungsreform nötig.
18
Nicht überliefert.