1132. Beethoven an Gräfin Marie Erdödy
Heilgenstadt am 19ten Juni 1817
Meine Verehrte Leidende Freundin
Wertheste<r> Gräfin!
Zu viel bin ich die Zeit herumgeworfen worden, zu sehr mit sorgen überhaüft, u. seit 6ten Oktober 1816 schon immer kränklich, seit 15ten Oktober überfiel mich ein starker Entzündungskatharr, wobey ich lange im Bette zubringen muste, u. es mehrere Monathe währte, bis ich nur spärlich ausgehn dorfte, Die Folgen davon waren bisher noch unvertilgbar, ich wechselte mit den Ärzten, da der meinige ein pfiffiger italiener so starke Nebenabsichten auf mich hatte u. ihm sowohl Redlichkeit als Einsicht fehlte, dies geschah im April 1817 ich muste nun vom 15-ten April bis 4ten May alle Tage 6 Pulwer gebrauchen, 6 Schaalen Thee, dies dauerte bis 4-ten May, von dieser Zeit an erhielt ich wieder eine andere Art Pulwer, wovon ich wieder 6 des Tags nehmen muste, u. mich 3 mal mit einer Volatilen Salbe einreiben muste, dabey muste ich hieher, wo ich die Bäder gebrauche, seit gestern erhielt ich nun wieder eine andere Medezin nemlich eine Tinctur, +wovon ich des Tags wieder 12 löffel voll nehmen muß. – + alle Tage hoffe ich das Ende dieses betrübten Zustandes, obschon sich es etwas gebeßert hat, so scheint es doch noch lange zu währen, bis ich gänzlich genesen werde, wie das alles auf mein ganzes übriges Daseyn wirken muß können sie denken, mein Gehörs Zustand hat sich verschlimmert, u. schon ehmals nicht fähig für mich u. meine Bedürfnisse zu sorgen, jezt also noch weniger und meine sorgen sind noch vergrößert durch meines Bruders Kind. – hier habe ich noch nicht einmal eine ordentliche Wohnung, da es mir schwer wird für mich selbst zu sorgen, so wende ich mich bald an diesen an jenen, u. bin überall übel belaßen u. die Beute elender Menschen. – Tausendmal habe ich an sie liebe verehrte Freundin gedacht, u. auch jezt, allein der eigene Jammer hat mich niedergedrükt. – Sperl hat mir linkes Brief übergeben, Er ist bey Schrab , ich habe ihm kürzlich geschrieben um mich zu erkundigen, was wohl die Reise zu ihnen kosten würde, habe aber keine Antwort erhalten – da mein Neffe Vakanzen hat von den lezten tagen august bis Ende Oktober, so könnte ich alsdenn, wenn ich vieleicht hergestellt bin, zu ihnen kommen, freylich dörfte es unß an Zimmern zum studiren u. zu einem bequemen Daseyn nicht fehlen, u. wäre ich eine Zeitlang einmal unter alten Freunden, welche sich onerachtet diesem u. jenem TeufelsMenschen Zeug noch mir u. ich ihnen erhalten haben, so würde vieleicht Gesundheit u. Freude wieder einkehren. – Linke müste nur schreiben auf welche Art ich die Reise am wenigsten kostspilig machen kann. – denn leider sind meine Ausgaben so groß, u. durch mein Krankseyn, da ich wenig schreiben kann, meine Einnahmen klein, u. dieses kleine Kapital, woran mein verstorbener Bruder schuld ist, daß ichs habe, darf ich nicht angreifen, da mein Gehalt immer weniger u. beynahe nichts ist, so muß ich dieses bewahren – offen schreibe ich ihnen, theuerste Gräfin, allein eben deswegen werden sie selbe nicht mißverstehen wollen, ich bedarf dessen ohnerachtet nichts, u. würde gewiß nichts von ihnen annehmen, Es handelt sich nur um die gröst möglichste sparsamste Weise um zu ihnen zu kommen, alles ohne Unterschied ist jezt in der Lage, hierauf zu denken, daher sey meine Freundin darüber nicht betroffen. – ich hoffe ihre Gesundheit sey in einem erwünschtern Zustande als ich früher vernehmen muste, Der Himmel möge doch ihren lieben Kindern die vortrefflichste Mutter erhalten, ja schon bloß deswegen verdienten sie <ihre>der Ihrigen wegen die Höchste Fülle der Gesundheit – leben sie wohl beste verehrteste Gräfin laßen sie mich bald von ihnen hören.
ihr wahrer Freund
Beethowen
1
Der Aufenthaltsort der Gräfin ist nicht sicher zu bestimmen. Ende September 1815 hatte sie Wien verlassen, um sich nach Güns (Schloß Nebersdorf) und weiter nach Paucovecz in Kroatien zu begeben. Im Frühjahr 1816 weilte sie in Padua, wo am 18.4.1816 ihr Sohn August gestorben ist. Sie soll sich dort ein Jahr aufgehalten haben, s. Briefe von Beethoven an Marie Gräfin Erdödy, geb. Gräfin Niszky, und Mag. Brauchle , hrsg. v. Alfred Schöne, Leipzig 1867, S. 7; Schöne beruft sich in seinen biographischen Angaben auf Otto Jahn. 1817 – 1819 lebte die Gräfin überwiegend in Paucovecz, doch sind kürzere Aufenthalte in Wien nicht auszuschließen. Ab 1819 hielt sie sich anscheinend wieder häufiger in Wien auf. Im Dezember 1823 siedelte sie, zusammen mit Brauchle, nach München über.
2
Wahrscheinlich ist Dr. Johann Malfatti gemeint. Mit Dr. Joseph Bertolini hatte Beethoven wohl schon 1816 gebrochen. Der neue Arzt war Dr. Jakob Staudenheim, der Beethoven schon im Sommer 1812 behandelt hatte.
3
Es ist nicht zu entscheiden, ob sich diese Bemerkung auf Beethovens Unterkunft in Heiligenstadt (Nr. 66 "am Platz") oder auf seine Wohnung in Wien (Landstraße, Hauptstraße Nr. 268) bezieht.
4
Nicht erhalten.
5
Nicht identifiziert.
6
Der Brief ist nicht erhalten.
7
Wahrscheinlich sind die 4000 Gulden Konventionsmünze gemeint, die Beethoven im Sommer 1816 bei S.A. Steiner angelegt hatte, s. Brief 954 vom 27.7.1816.
8
Maria gen. Mimi und Friederike gen. Fritzi.