Ue
Beethoven-Haus Bonn Hilfe
schließen ×

Hilfe zur Benutzung der Brieftexte

Editorische Zeichen in den Brieftexten

  • <...> Streichung, Überschreibung, Löschung
  • [...] Herausgeberzusatz
  • +...+ Markierung längerer Passagen, auf die im Kommentar eingegangen wird, z.B. mehrfache Unterstreichung
  • +...+ Einfügungen des Schreibers mit Verweiszeichen im Original
  •  ... * Asterisk, Kennzeichnung von Textverlust durch Beschädigung der Handschrift

Ungebräuchliche und schwer verständliche Abkürzungen im Brieftext werden in eckigen Klammern [ ] aufgelöst. Die gängigen Abkürzungen und Zeichen für Münzen und Währungen bleiben unverändert. Nicht aufgelöst werden auch die geläufigen Abkürzungen bei Tempo- und Instrumentenbezeichnungen wie Allo, Andte, Vno(Violino) und Vcello(Violoncello).

Wurde ein Dokument im Laufe der Überlieferung getrennt und befindet sich nur ein Teil im Beethoven-Haus Bonn, ist dieser Teil in der Übertragung fett wiedergegeben.

Abkürzungen in den Brieftexten

  • # Dukaten
  • sfl., f., fr. Florin, Gulden
  • kr, xr, x Kreuzer
  • C.M., c.m. Konventionsmünze
  • W.W., w.w. Wiener Währung
  • BZ, B.Z. Bancozettel
  • £ Pfund Sterling
  • Rthlr Reichstaler
  • Thlr Taler
  • d.c. da capo
  • d.g., dgl. dergleichen
  • d.s. dal segno
  • etc. et cetera
  • mp, m.p. manu propria
  • Nb. Nota bene
  • P.P. Praemissis Praemittendis
  • P.S. Postscriptum
  • P.T. Pleno Titulo

Der nachgestellte Kommentar enthält den Quellennachweis sowie textkritische und erläuternde Anmerkungen. Für die häufiger zitierte Literatur werden Abkürzungen und Siglen verwendet.

1326. Beethoven an Joseph Blöchlinger

[Mödling, 27. August 1819]1

Euer wohlgebohrn!

Es ist endlich Zeit, daß sie nun strenge darauf halten, daß die Mutter K.[arls] ihr Hauß gar nicht mehr betrete, – in dieser Hinsicht ersuche ich sie, ihr das Gewäsche, was sie ihnen gestern geschrieben,2 sogleich zurückzuschicken, u. ihr zu bedeuten, daß sie ihr Hauß nie sich unterstehe, zu betreten, das ist die sprache, welche man mit d.g. Personen führt, u. wie man sie behandelt, ich mache sie als vormund dafür verantwortlich, (denn ich bin es wirklich, woran sie hoffentlich nicht zweifeln werden,)3 u. wäre ich es nicht, so würde jeder, der mich nur kaum kennt, doch die gränzen sezen zu wissen, die hier nöthig <ist>sind, – <zu sezen> – wie kann man mir zumuthen, mich immer gegen die abscheulichen Verlaümdungen u. Boßheiten gegen mich von dieser verworfenen Person <mich> vertheidigen zu sollen, K. entlief zweimal im heimlichen Einverständniß mit ihr,4 u. alle beydenmal hatte er schlechte Streiche begangen, u. fand schuz bey seinerRaben Mutter, wurde aber auch beydemal wieder weggenommen, u. eben solcher abscheuligen lügen voll ist das andere Gewäsche, Es ist mir unmöglich ferner mehr mich diesem gewäsche abzugeben, u. ich ersuche sie ebenfalls ihr zu verbieten, daß sie ihnen schreibe, zugleich lege ich als Vormund eine schrift bey für sie,5 der sie ohnehin nicht benöthigt sind, weil sie <ohnehin> beauftragt sind, sie mit Berufung auf die Vormundschaftlichen Behörde sie jedesmal abzuweisen, Es braucht hier Vom Magistrat keine schriftliche order mehr,6 da sie selbe schon aus dem Munde des Refer.7 empfangen haben, ich schicke ihnen die schrift von mir bloß, damit sie sehn, daß ich wirklich der Vormund bin, <welches>welche Würde mir gar keine Behörde nehmen kann. –
sie haben sie auch vor einiger Zeit wieder kommen laßen wider unsere Verabredung, ich wußte es schon eher als sie es H.[errn] v. Bernard anzeigten, indem jemand von meinen Bekannten, der dort in der nähe wohnt, sie gesehen hatte, nur verblümt hatte H.[err] v. oliva den Auftrag mit ihnen davon zu sprechen,8 dies hat er freylich, wie ich höre im Eifer nicht befolgt, dies ist natürlich, weil wir alle sie +die Mutter+ als eine schlechte Person kennen, u. ihre frühere Verkennung meiner von ihnen immer mir selbst noch ein gewißes Mißtrauen übrig gelaßen hat, dem sey wie ihm wolle, Es schikt sich, daß ich als vormund u. versorger meines Neffen die Einsicht in alles, was in d.g. vorgenommen wird, haben muß; – Giannattasio wollte sie selbst auf mein Ansuchen nicht im Hause dulden, denn sie war ihm u. seiner Familie ein Graüel, u. ohne mein Zuthun verabscheuten sie selbe schon wegen ihren schlechten Reden über mich, denn gut u. gefällig <war>wie Freundschaftlich war die ganze Familie u. ist es noch, sie wußte meinem Karakter Gerechtigkeit widerfahren zu laßen, u. nie hatte ich nöthig mich gegen ihr elendes Gewäsche vertheidigen zu müßen, weil man ihr <k...?f> den Zutritt überhaupt erschwerte u. sie späterhin gar nicht dort dulden wollte, was sie bey ihnen gewagt hat hätte sie sich dort nicht unterstanden, Es ist abzunehmen, daß sie noch immer zu gefällig gegen sie sich betragen haben, wie könnte sie sich sonst unterstehen dergleichen Briefe an sie zu schreiben –
Erziehung bedarf, wie sie selbst wißen, der höchsten Konsequenz, u. bey dem Knaben von dieser raben-Mutter gewiß vorzüglich – sie konnten zuversichtlicher handeln, <da sie>noch ehe sie Die Bewilligung der O.[ber] V.[ormundschaft] hatten, um so mehr jezt, u. sie sehen, das Blatt hat sich gewendet, u. ich kann versichern ohne mein Zuthun, die wahrheit wird endlich alles dieses Giftgemisch dieser Königin der Nacht völlig unterdrücken u. besiegen – mit Karls benehmen bin ich gar nicht zufrieden gegen mich, er ist verstokt gegen mich, u. dies datirt sich <von sich> von seiner Mutter her noch von seinem lezten Aufenthalte bey ihr,9 man kann denken, welches Gift sie ihm beygebracht hat, daher das sistem, daß nicht gegen sie gesprochen werden <kann>soll, nicht wohl bestehn kann, er kann nicht anders angewiesen werden, als daß er ihr schonung schuldig ist, er kennt sie selbst von Kindheit an, u. sie ist ihm bey Giannattasio immer gezeigt worden, wie sie ist u. war, selbst geistliche haben keine scrupel hier finden wollen u. haben dasselbige gethan, u. nun haben sie neuerdings die O.V. als beyspiel vor sich, indem ihm der H.[err] Referent gestern selbst nur an mich angewiesen hat, u. ihm Gehorsam in allem an mich empholen, daher sie ebenfalls ihm sagen können, daß die O.v. von selbst verbothen habe, daß ihn die Mutter ferner sehen solle, weswegen etc dazu wird ihnen hoffentlich der stoff jezt nicht fehlen, ich mag ihn lieber gar nicht mehr sehen, als so, wie er jezt sich gegen mich beträgt, zwar hat er sich einigemal früher durch den bösen Einfluß gegen mich vergeßen, allein bald war wieder alles im alten Geleise, mir blutet das Herz, man stelle sich vor, wie ich seinen Vater mit wohlthaten überhaüft,10 ihm sein leben (ebenfalls durch diese schreckliche Person vor seiner Zeit in das grab gekommen) mehrere Jahre dadurch verlängert, wie ich für den sohn gesorgt mehr wie für mich selbst, wie er mir gedankt hat, ihn von seiner Mutter befreyt u. gerettet zu haben, u. nun dies Betragen herzloß gemüthloß ohne das mindeste Zeichen einer Anhänglichkeit, einer Theilnahme, sein Brief hat für mich nichts als Phrasen u. beynahe hätte ich ihm ihn zurückgeschikt, Bernard hat es nur verhindert11 – Es ist hier kein Mittelweeg möglich, alles für mich oder nichts, denn von mir hängt sein fortkommen u. sein Glück ab, selbst für seine Zukunft habe ich gesorgt, u. nicht ohne Aufopferungen, durch die Verwirrungen ist er von seiner Bahn gewichen, u. ich vermuthe sogar, daß <ihm>ihn seine Mutter vieleicht hat schwören laßen mir ja kein Zeichen der liebe u. anhänglichkeit zu geben, etwas ähnliches hat sie schon einmal versucht, Es ist daher nöthig, daß er wieder in seine vorige Bahn um mich zurückgeleitet werde, dies kann nicht anders geschehen, als daß<sie>ihm die Mutter gerade, wie sie ist, gezeigt werde, ihr übeler Ruf ihr böser unmoralischer Karakter läßt nie zu, daß er ihr viel nahe seyn könnte, ich muß daher noch einmal um die höchste Konsequenz hierin bitten, ohne welche nichts gedeihen kann, es ist zu viel gefordert, daß ich mir eine schlange in meinem eigenen Busen erziehen laßen sollEdelmuth muß auch wieder edle hervorbringen, u. Die Tugend darf das laster bloß ertragen, aber nicht seine bösen wirkungen ungehemmt laßen. –
ich muß darauf bestehen, daß sie gänzlich alle Kommunikation mit ihr aufheben sowohl alle persönliche wie auch schriftliche, ich will kein wort mehr von ihr hören, Gott, der mir noch allezeit beygestanden, wird auch wieder das böse schlechte zwar mit irregeführte Herz meines vieleicht einmal unglüklichen Neffen zu beßern wißen. –

ihr ergebenster Beethoven



1 Der Brief wurde zur gleichen Zeit wie Brief 1325 verfaßt und mit diesem gemeinsam versandt.

2 Siehe den erschlossenen Brief 1324 .

3 Nach dem Rücktritt Mathias Tuschers hatte sich Beethoven am 5.7.1819 wieder zum Vormund seines Neffen erklärt, s. Brief 1311 .

4 Beethoven bezieht sich auf die Vorfälle Anfang Dezember 1818 und ungefähr Mitte März 1819. Eine Konsequenz der Ereignisse im Dezember 1818 war die Verweisung der Obervormundschaft vom niederösterreichischen Landrecht an den Magistrat der Stadt Wien. Die Vorfälle im März 1819, die dokumentarisch nicht belegt und nur aus der Denkschrift vom 18.2.1820 bekannt sind, führten Beethoven zur Niederlegung der Vormundschaft und zur Unterbringung des Neffen im Erziehungsinstitut Kudlich, nachdem Mathias Tuscher die Vormundschaft übernommen hatte (27.3.1819).

5 Brief 1325 .

6 Ursprüngliche Wortfolge: "mehr keine schriftliche order" ; Umstellung durch Bezifferung.

7 Magistratsrat Franz Xaver Piuk.

8 Vgl. den zweiten Absatz in Brief 1321 vom 19.8.1819.

9 Vielleicht ist Karls Besuch am Namenstag seiner Mutter (6.5.1819) gemeint. Der Neffe scheint während der Vormundschaft Tuschers häufig Kontakt zu seiner Mutter gehabt zu haben, obwohl er als Internatsschüler bei Kudlich untergebracht war.

10 Beethoven hatte seinen Bruder Kaspar Karl 1813 finanziell unterstützt und ihm 1815 manche Gefälligkeit erwiesen, s. Brief 781 vom 3.2.1815 an Varena und Brief 786 vom März 1815 an Brauchle.

11 Vgl. Brief 1321 "Zusäze" .


© 1998 G. Henle Verlag, München