2261. Anton Felix Schindler an Ignaz Moscheles in London
Wien den 22. Febr. 1827.
Theuerster Freund!
Bey Durchlesung des Briefes unsers unglücklichen Beethoven's werden Sie sehen, daß ich mir darin auch vorbehalten habe, selbst einige Zeilen an Sie zu richten. Wohl hätte ich Ihnen sehr viel zu sagen, allein ich will nun vorzugsweise bey Beethoven verweilen, weil dieß wohl für itzt der wichtigste Gegenstand ist, der mir am Herzen liegt. – Aus seinem Briefe an Sie, werden Sie seine Bitte und seinen sehnlichsten Wunsch ausgesprochen finden. deßelben Inhalts ist auch jener an Sir Smart, so wie ein früherer, auch von meiner Hand geschrieben, an den Hrn Harfenmacher Stumpf. – Schon bey Ihrem letzten Hierseyn schilderte ich Ihnen Beeth. finanzielle Umstände, und ahndete nicht, daß der Zeitpunkt so nahe sey, wo wir diesen würdigen Mann auf eine so jämmerliche Art seinem letzten Ende werden entgegen gehen sehen. Denn wohl kann man sagen, seinem letzten Ende, denn wie die Sache mit seiner Krankheit gegenwärtig steht, so ist an eine Genesung gar nicht zu gedenken, obwohl er dieß gar nicht wissen darf, aber es selbst schon ahndet. – Erst am 3. Dezemb. kam er mit seinem nichtswürdigen Neffen vom Lande an. Auf der Hierherreise mußte er des schlechten Wetters halber in einem elenden Wirthshause übernachten, wo er sich dermaßen eine Erkältung zuzog, daß er augenblicks eine Lungenentzündung bekam, und in diesem Zustande hier ankam. Kaum war diese beseitigt, so zeigten sich auch schon alle Spuren der Wassersucht, die zwar so heftig überhand nahm, daß er schon am 18. Dezemb. das 1te Mahl mußte operirt werden, sonst wäre er geborsten. Am 8. Jänner erfolgte die 2te Operation u am 20 Jän. die 3te. Nach der 2ten u 3ten ließ man das Wasser jedes Mahl durch 11 Tage aus der Wunde fließen, allein kaum war die Wunde verheilt, so war der Andrang des Wassers ungeheuer schnell, so daß ich öfters fürchtete, noch ehe es zur Operation kommen konnte, er müße ersticken. Nun jetzt bemerke ich, daß der Andrang des Wassers nicht so heftig ist, als früher, denn es dürften jetzt, wenn es so fort geht, wohl noch 8 – 10 Tagen bis zur 4ten Operat. vergehen. – Nun Freund! denken Sie sich Beeth. in einer so fürchterlichen Krankheit, mit seiner Ungeduld und überhaupt mit seinem Temperamente! denken Sie sich ihm in diese Lage versetzt durch den niederträchtigsten Menschen, seinen Neffen, zum Theil auch durch seinen Bruder, denn beyde Ärzte Hr Malfatti u Professor Wawruch erklären den Grund der Krankheit aus den fürchterlichen Gemüthsbewegungen, denen der gute Mann durch seinen Neffen durch lange Zeit ausgesetzt war, so wie auch dem zu langen Aufenthalt in der nassen Jahreszeit auf dem Lande; welches aber nicht leicht zu ändern war, weil der junge Herr nicht in Wien bleiben durfte, vermog Polizey Mandat , und ein Platz bey einem Regimente nicht so gleich ausfindig zu machen war. Nun ist er Cadet bey Erzherzog Ludwig, und beträgt sich noch stets gegen seinen Onkel so wie früher, obwohl er jetzt so wie eh ganz von ihm lebt. Den Brief an Sir Smart schickte ihm Beeth. zu zur Uibersetzung ins Englische bereits vor 14 Tagen, allein bis heute ist noch keine Antwort zurück, obwohl er nur einige Stationen von hier nämlich in Iglau ist. Sollten Sie es mein herrlicher Moscheles in Verbindung mit Sir Smart dahin bringen, daß die philhar. Gesellschaft seinem Wunsche willfährt, so thun Sie gewiß dadurch die größte Wohlthat. Denn die Ausgaben in dieser langwierigen Krankheit sind außerordentlich, so zwar daß die Vermuthung, er werde in der Folge Mangel leiden müßen, ihn Tag und Nacht quält, denn von seinem abscheulichen Bruder etwas annehmen zu müssen, brächte ihm zuerst den Tod. – Wie es sich jetzt schon zeigt, so wird aus der Wassersucht eine Abzehrung, denn er ist jetzt schon nur Haut und Knochen. Allein seine Constitution wird noch sehr lange diesem entsetzlichen Ende widerstehen. – Was ihn noch sehr kränkt, ist, daß sich hier gar Niemand um ihn bekümmert; und wirklich ist diese Theilnahmslosigkeit höchst auffallend. Früherer Zeit ist man in Equipagen vorgefahren, wenn er nur unpäßlich war, jetzt ist er ganz vergessen, als hätte er gar nie in Wien gelebt. – Ich habe dabey die größte Plage, und wünsche sehnlichst, daß es sich mit ihm bald ändern möge, wie immer, denn ich verliere alle meine Zeit, da ich blos allein mit ihm zu thun habe, weil er sonst Niemand um sich haben will, und ihn in dieser ganz hilflosen Lage verlassen, wäre doch unmenschlich. – Er spricht jetzt häufig von einer Reise nach London, wenn er gesund wird, und rechnet schon, wie wir beyde am wohlfeilsten auf der Reise leben werden. Aber du lieber Gott! Die Reise wird hoffentlich weiter als nach England gehen. – Seine Unterhaltung, wenn er allein ist, besteht im Lesen der alten Griechen, auch mehrere der Walter Scott'schen Romane hat er mit Vergnügen gelesen. – Wenn Sie mein theurer Freund! die Gewißheit haben, daß die philhar. Gesellschaft diesen schon längst geäußerten Vorsatz, in Ausführung bringen will, so unterlassen ja nicht, Beethoven direkte hievon in Kenntniß zu setzen, denn dieß wird ein neues Leben für ihn seyn. Auch Sir Smart suchen Sie zu bewegen, daß er ihm schreibe, damit er eine doppelte Versicherung erhalte.
Unsere italienische Oper hat am 20. d.M. ihren Anfang genommen. Außer Hrn Lablache und der Sigra Lalande als prima donna ist bis itzt noch gar nichts von von Bedeutung da. Die andern kommen erst im April. Die erste Vorstellung war Amazilia, Melod. [ram] in 2 Akten von Pacini.
Vor mehreren Tagen hat sich ein furchtbarer Mord an einem 70jährigen Greise, der Prof der Mathemat. war, ereignet. Durch die geraubten Obligationen ist der Mörder durch das Haus Wedel schon am 4ten Tage nach der That entdeckt und festgenommen worden. Es ist niemand anderer, als ein Graf Jaroschinsky, Oberster der pohlnischen Nobel-garde , u Inhaber mehrerer Orden. – Die Sache hat ein ungeheures Aufsehen erregt.
Ihren Brief vom 3. November v.J. aus Prag habe ich erst am 20 Nov. erhalten. Ich sage Ihnen meinen innigsten Dank für diese besondere Freundschaftsbezeigung, und wünsche nur sehnlichst, Ihnen recht bald wieder gefällig zu seyn. – Uibrigens Gott befohlen! Ihrer vortrefflichen Frau Gemahlin melden Sie gütigst meine ganze Ergebenheit. – Mit aller erdenklichen Hochachtung stets
Ihr dienstfertigster Freund
AntSchindler
Lachen Sie nicht über die Adresse an Sir Smart; denn weder Beet. noch ich wissen sie anders.
Von meiner Schwester habe ich Ihnen alles Liebe und Gute zu sagen. Sie empfiehlt sich Ihrem wohlwollenden Angedenken.
Von Horzalka weis ich Ihnen gar nichts zu sagen, denn ich sah ihn schon mehrere Wochen nicht. – Klaviermacher Graf grüßt Sie freundschaftlichst. Er hat kürzlich dem Beethoven ein Fortepiano zum Geschenk gemacht. – Wenn die Sache für Beeth. mit der philhar. Gesellschaft zu Stande kommt, so sollten mehrere dieser Herren an Beeth. bey Uibermachung des Geldes ohne Rückhalt sich aussprechen, daß die Gesellschaft den Wunsch habe, er möge dieses Geld zu seinem, und nicht zum Vortheile seiner unnatürlichen Verwandten, vorzüglich für seinen undankbaren Neffen verwenden, der so – wie die andern Anverwandten in London so wie in Wien, nur allgemeinen Haß zugezogen habe. – Dieß würde sehr vortheilhaft wirken, denn sonst gibt er es wieder seinem Neffen, der es nur verlumpt, und er leidet Mangel.
1
Brief 2260 .
2
Brief 2259 .
3
Brief 2256 vom 8.2.1827.
4
Moscheles war zuletzt im Oktober 1826 in Wien gewesen, wo er am 21. und 25.10. zwei Konzerte im Kärntnertortheater gegeben hatte, s. AMZ 28 (1826), Sp. 828f.
5
Beethoven ist wahrscheinlich bereits in den letzten Novembertagen von Gneixendorf nach Wien zurückgereist, s. Brief 2232 und 2234, Anm. 1 .
6
Die vierte Operation wurde am 27.2.1827 durchgeführt, s. Brief 2271 . Die Angaben zu den früheren Operationen sind teilweise unkorrekt: Die erste Operation fand am 20.12.1826, die zweite am 8.1. und die dritte am 2.2.1827 statt.
7
Der politische Senat des Magistrats der Stadt Wien hatte wegen des Selbstmordversuchs des Neffen im August 1826 eine Unterbringung außerhalb Wiens angeordnet.
8
Vgl. Brief 2269 vom 4.3.1827.
9
Luigi Lablache (1794 – 1858), Bassist. Er war als Mitglied der italienischen Operngesellschaft bereits 1823 – 1825 am Kärntnertortheater in Wien engagiert.
10
Henriette Clémentine Méric-Lalande (1799 – 1867), Sopranistin.
11
Die Aufführung fand am 20.2.1827 im Kärntnertortheater statt, s. die Besprechungen in AMZ 28 (1826), Sp. 233f. und in: Der Sammler (Nr. 25 vom 27.2.1827), S. 100.
12
Es geht um den Mord an dem Mathematikprofessor Abbé Plank am 13.2.1827, über den mehrere österreichische Zeitungen in gleichlautenden Meldungen berichtet hatten, s. u.a. Oesterreichischer Beobachter (Nr. 50 vom 19.2.1827), S. 232.
13
Marie Schindler (gest. 1882), Schauspielerin und Sängerin in Wien, Pest, später in Berlin und Aachen.
14
Johann Horzalka (1798 – 1860), mährischer Komponist und Pianist, war in Wien Schüler von Moscheles gewesen.
15
Das Instrument war nur leihweise für die Zeit überlassen worden, in der Beethovens Broadwood-Flügel zur Reparatur war. Es wurde nach Beethovens Tod an Graf zurückgegeben.